
Der Sieger:innenentwurf von NL Architects stellt das Leben am Fluss in den Mittelpunkt des Projektes an der Inselstraße 140 in Stuttgart-Untertürkheim. © NL Architects
Im Jahr 1927 läuteten die Größen der Weltarchitektur mit der Weißenhofsiedlung die Moderne ein. Genau 100 Jahre später möchte die Internationale Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA’27) die damals gestellten Fragen nach der Zukunft des Bauens und des Zusammenlebens in der wirtschaftsstarken Region neu beantworten. Eine Möglichkeit liefert das jüngst zum IBA’27-Projekt ernannte Bauvorhaben von NL Architects an der Inselstraße in Stuttgart-Untertürkheim.
Der Entwurf des Amsterdamer Büros NL Architects für die IBA’27 konnte die Jury mit einer bunten Mischung aus Wohn- und Lebensformen überzeugen. Auf dem ehemaligen Gewerbestandort sind 140 Wohnungen vorgesehen. Soziale Räume und neues Gewerbe finden in den Erdgeschossen Platz. Hier wird gezeigt, wie Wohnen und Leben in einer (ehemals) industriellen Umgebung aussehen kann. Das neu zu beplanende knapp ein Hektar große Areal an der Inselstraße umfasst die zwei Grundstücke 140 und 144. Das Grundstück 140 ist in Besitz der Bietigheimer Wohnbau GmbH, das Nachbargrundstück 144 gehört der EnBW Energie Baden-Württemberg AG. Zwischen dem Neckarufer und dem denkmalgeschützten Wasserkraftwerk auf dem Grundstück der EnBW spannt sich ein zukunftsweisendes und vielfältiges Plangebiet auf.

Phantasie und Fingerspitze statt Abrissbirne: Der bestehende Bürokomplex wird umgeplant. © NL Architects
Ursprünglich war das bestehende Bürogebäude aus den 1970er Jahren auf dem Grundstück 140 für den Abriss vorgesehen. NL Architects hingegen sehen eine Umnutzung für den Komplex vor, ganz dem Leitgedanken einer sensiblen und nachhaltigen Architektur folgend. Die Entwerfer:innen entwickeln ein Gebäude mit einer gestapelten Grundtypologie, die günstig und ressourcenschonend einen experimentellen Quartiersmittelpunkt ermöglichen soll. Straßenseitig ist dem Bestand eine Struktur aus Galerien und Treppen vorgeschaltet, die zum einen neue Bewegungszonen und Treffpunkte generiert, zum anderen aber auch einen Schallschutz für die dahinterliegenden Funktionen bietet. Mittig ist eine zweigeschossige Eingangshalle vorgesehen, die einen geschützten Eingang in das Quartier bildet und zudem die öffentlichen Nutzungen in den ersten beiden Geschossen erschließt, darunter eine Kindertagesstätte, ein Restaurant, Büroräume sowie Einzelhandelsflächen. In den darüberliegenden Geschossen befinden sich Wohnungen. Das umgebaute Bestandsgebäude umfasst so entsprechend vielfältige gemischte Nutzungen.

Getreu dem Motto „You’re welcome“ bildet die zweigeschossige Eingangshalle den Zugang zum neuen Areal. © NL Architects
Neben diesem Bestandsumbau sollen auf dem Areal am Neckar zudem sechs Neubauten entstehen, die jeweils unterschiedlich proportioniert sind und sich auf die Schaffung von neuem Wohnraum konzentrieren. Dazu werden Grundrisse entwickelt, die ganz unterschiedliche Typologien und Lebensformen berücksichtigen. Alle Neubauten sind in Holzbauweise mit einem praktikablen Raster von 4×4-Meter flexibel strukturiert. Egal ob Single, Familie oder alternative Lebensgemeinschaft – hier lässt sich ein passender Grundriss finden!
Innen wie außen erhalten die gemeinschaftlichen Flächen eine große Bedeutung. Innerhalb der Gebäude gibt es Gemeinschaftsräume, die den individuellen Wohnraum beispielsweise als Raum für Co-Working oder Feierlichkeiten ergänzen können. Die Dachflächen werden zum Großteil als Garten, Terrasse oder Spiel- und Sportfläche genutzt. Und die Gestaltung macht nicht an den Außenwänden Halt: Eingerahmt zwischen den Gebäudestrukturen finden sich verschiedene Platzcharakterisierungen. Zentral und rückwärtig der Eingangshalle sind angrenzend an die Kindertagesstätte großzügige Spielflächen und Aufenthaltsmöglichkeiten geplant. Zwischen den Neubauten sind zudem eine Blumenwiese, vereinzelte Picknickplätze und ein öffentlicher Naturspielplatz vorgesehen, der den Übergang zum Neckarufer bildet. Das Quartier soll sich hier mit Stegen und schwimmenden Gärten zum Fluss öffnen und Aufenthaltsqualitäten bieten.

Mit Begegnungsräume und Horizonterweiterungen bietet der Sieger:innenentwurf verschiedene Möglichkeiten zum Aufenthalt. © NL Architects
Gemäß der nachhaltigen Leitgedanken findet im Konzept auch das Thema Energieversorgung große Beachtung: Die Dachflächen werden zum Teil mit Solaranlagen und Regenwasserspeichern ausgestattet. Darüber hinaus integriert das von der EnBW entwickelte Energiekonzept Wärmepumpen, die die Energie des Neckarwassers nutzen sollen. Derweil soll das denkmalgeschützte Wasserkraftwerk erhalten und weiterhin zur Stromerzeugung genutzt werden.
Die Entscheidung der Jury für den übereinstimmend favorisierten Beitrag von NL Architects fiel bereits im Frühjahr 2022. Der internationale Wettbewerb wurde gemeinsam von der IBA’27, der StadtRegion Stuttgart GmbH und den Grundstückseigentümer:innen ausgelobt. Anschließend erfolgte die Weiterentwicklung und Verfeinerung des Entwurfs zusammen mit a+r Architekten aus Stuttgart, die im Wettbewerb den zweiten Platz erhielten. Nun folgte kürzlich der Aufsichtsrat der IBA’27 den Empfehlungen des Kuratoriums und beschloss Ende März die Aufnahme des Projektes als offizielles IBA’27-Projekt. „Die Verbindung von Wohnen und Arbeiten, die schöne Lage am Fluss, preisgünstiges Bauen durch rationelle Konstruktion und serielle Holz-Modulbauweise, der Erhalt des Bestands statt Abriss: all das passt sehr gut zu den Ansätzen der IBA,“ so IBA’27-Intendant Andreas Hofer. Pünktlich zum Jahr 2027 soll das Projekt fertiggestellt sein.
Beitragsbild © NL Architects
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